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M2 bei der FOTO WIEN – Bianca Pedrina, Mafalda Rakoš, Rudi Rapf und Nikolaus Ruchnewitz

Bianca Pedrina (*1985 in Basel CH, DE) lebt in Wien
Sie studierte von 2006 bis 2009 an der HKB Bern und besuchte von 2010 bis 2011 die Städelschule in Frankfurt am Main (Prof. Judith Hopf). Sie erhielt 2015 Auszeichnungen von der Cristina Spoerri Foundation, 2016 von der UBS Kulturstiftung und wurde 2018 für den Swiss Art Award nominiert. Zuletzt hatte sie Einzelausstellungen im C/O Berlin und im Kunsthaus Baselland.
 
Mafalda Rakoš (*1994, AT)
Studium an der Akademie der bildenden Künste, Abschlüsse in Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien sowie Fotografie an der Royal Academy of Art in Den Haag.
Ihre Arbeiten bewegen sich stets entlang der Schnittstelle von Kunst, Dokumentation und Anthropologie, mit dem Ziel ein größeres, gesellschaftliches Bild zu zeichnen und gleichzeitig tief in biographische Narrative zwischen den Themenkomplexen Sicherheit, Schmerz und Trauma einzutauchen. Ihr Arbeiten wurden mehr- fach nominiert und ausgezeichnet (c/o Berlin New Documentary Talents Award, Steenbergen Stipendium, Unseen Dummy Award) und international in Museumsausstellungen (Nederlands Fotomuseum, Benaki Museum, Museum of Contemporary Art Zagreb) und anderen Kontexten wie Kongressen für Essstörungen oder einem Krankenhaus (AKH Wien) gezeigt. Die Künstlerin lebt und arbeitet zwischen Wien, Amsterdam und Berlin, ihr drittes Buch „A Story to Tell“ erschien 2020 im Verlag Fotohof.
Rudi Rapf (*1990, Kassel DE) lebt in Wien
2018 Abschluss an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Monica Bonvicini und Martin Guttmann. Gewinner des Portfolio-Reviews Foto Wien 2019 vertreten mit Arbeiten u.a. in der Sammlung des Wien Museum, Stipendium ArtStart Studio 2019.
Rudi Rapf arbeitet mit Techniken,  die skulpturale Ansätze und fotografische Überlegungen vereinen. Der Mensch ist dabei ein zentrales Thema seiner Arbeit. Durch genaue Beobachtungen wird versucht sich ein Bild über das „Mensch-Sein“ zu machen und dies zu verarbeiten. Alltagssituationen werden durch die Einführung in die Kunst zu etwas Außergewöhnlichen empor gehoben und können dadurch neu betrachtet werden. Dabei sind gesellschaftliche und soziologische Fragen zu Alltag und Routine aber auch Abweichungen von dieser Norm wichtige Aspekte der Arbeit. Sie hinterfragt die Grenzen der Objektivität.
Nikolaus Ruchnewitz (*1978 geboren in Frankfurt/Main DE) lebt in Wien
Studium an der Ponteficia Universidade Católica (PUC), Rio de Janeiro, Brasilien, und an der Hochschule für Gestaltung (HFG), Offenbach, sowie an der Akademie der bildenden Künste, Wien (Prof. Heimo Zobernig). Arbeitet im Bereich Fotografie, Sound und Skulptur. Ausstellung und Performances u.a. im Salzburger Kunstverein, Belvedere21, Schauspielhaus Wien, Parallel Art Fair Wien
Bianca Pedrina – Clear Blue Skies, 2021. Fine Art Prints, gerahmt, je 41 x 27,5 cm
Mafalda Rakoš – aus Stop & Go, 2022. Fine Art Print, gerahmt, 80 x 110 cm
Rudi Rapf – When you want but can’t, 2017. Collage, Metallrahmen, 90 x 120 cm
Nikolaus Ruchnewitz – Mondo Concreto, Estufa 2017, 2022. Silbergelatine Print, Stahlrahmen, 106,5 x 106,5 cm

Die Bildrechte liegen bei den Fotografen Mafalda Rakoš, Bianca Pedrina, Rudi Rapf und Nikolaus Ruchnewitz und sind urheberrechtlich geschützt.

STOP NON STOP
Rethinking Nature

Nimmt man den Titel Rethinking Nature wörtlich, so fordert Foto Wien 2021/22 die ausstellenden Künstler:innen auf, Natur neu zu denken, wohl auch das menschliche Verhältnis zur und den Blick auf Natur zu überdenken. 
 Nichts scheint zeitgemäßer in Zeiten eines Paradigmenwechsels: der Klimawandel macht Zukunftsangst, die Pandemie isoliert, Fake News führen zu Vertrauensverlust, Bitcoiner und die Insta-Generation verfallen einem verzerrten Selbst– und Welt– Bild. Diese vielfachen Herausforderungen ändern und belasten nicht nur psychosoziale Strukturen, sondern auch den Blick auf Natur, Umwelt, Umgebung, das Selbst und das Miteinander.
Grundsätzlich ist die Beziehung des Menschen zur Natur ja ambivalent, da das Widersprüchliche von „Frucht und Furcht“ Lebewesen seit jeher begleitet. Natur bietet allen Lebensformen Nahrung und Unterschlupf, und damit Überlebensfähigkeit und Wachstumspotential. Wild und ungebändigt ist sie dem Menschen in jeder Form erhaben und gewinnt immer gegen das Individuum. Diese furchtbare Schönheit begeisterte nun auch nicht erst die Romantiker. [FN 1] Klar ist, dass sich zu der bereits genannten Ambivalenz des Menschen gegenüber der Natur noch die traditionellen Antipoden Natur-Technik, Natur-Kultur, Natürlich-Künstlich gesellen. Und seit jeher gelten Natur und das Natürliche als das Gute und Schöne, und sind damit auch als das positiv und ethisch Richtige konnotiert. [FN2]
Den Begriff der Natur wollen wir hier nicht zu eng stecken. Natur, Landschaft, Umwelt und (urbane) Umgebung und der Platz des Menschen in diesem Gefüge werden von Bianca Pedrina, Mafalda Rakoš, Rudi Rapf und Nikolaus Ruchnewitz thematisiert. 

 

Fotografie wird von Bianca Pedrina gezielt als Mittel der Verfremdung Ihrer Umwelt eingesetzt. Von ihr gewählte Objekte werden ihrem Ursprungsort entnommen, im Material verändert und in einer neuen Umgebung installiert. Mit dieser „Transplantation“ geht auch eine Änderung der Größenverhältnisse einher, die den Blick noch zusätzlich schärfen soll und die ursprüngliche Bedeutung und Funktion von Materialien hinterfragt. 
Die Verfremdung als anti-aristotelischer Kunstgriff ist das Gegenteil der Einfühlung: sie zerstört das Vertraute, und all das, worauf man meinte, sich verlassen zu können, muss neu erarbeitet werden. Pedrina steht hier in der Tradition von Bertold Brecht, dessen Werke immer die Motivation des Menschen und seines Handelns innerhalb seines gesellschaftlichen Umfelds ergründete. 

Mafalda Rakoš’ Autostoppen dient der Herstellung einer Verbindung mit Unbekannten. Während der Fahrten interviewt sie ihre Chauffeur:innen und nützt die Zeit, ihre Anliegen und Ansichten anzuhören. 
In Zeiten des Individualverkehrs, der steril, bequem und distanziert ist, widmet sich Rakoš einigen Menschen, deren Stimmen man selten zu hören bekommt. In den Autos und Lastwägen befindet sich die Künstlerin auf dem Terrain der Fahrer:innen, wo sie in deren gewohnter Umgebung bereitwillig Ihre Meinungen äußern. Video und Polaroids dienen als Dokumente dieser Begegnungen, die einfühlsame Porträts der vormals Unbekannten ergeben.   

In seinen Arbeiten „Mondo Concreto“ (konkrete Welt oder Welt aus Beton) spricht Nikolaus Ruchnewitz die Notwendigkeit der Architektur an. In Form gelungen oder verfehlt, ist Ihre Schutzfunktion jedem Bauwerk inhärent und daher ein verbindendes Element durch die architektonische Geschichte. Architektur ist daher auch Landschaft und Sprache, und im besten Fall wird aus ansprechenden Entwürfen eine Norm. Mit einer Mittelformatkamera auf Reisen sind Ruchnewitz‘ Ausschnitte bewusst menschenleer, um diese Universalität zu unterstreichen.

Rudi Rapf widmet sich in Men of Good Will der Natur des Menschen. Alltagsszenen beobachtet er über Stunden hinweg, die er durch Collagen wie mittels Zeitraffer zusammenzieht und in großen Formaten überhöht. Die daraus entstehende Erzählung enthält voyeuristische Züge, die uns zu Komplizen der dargestellten Situationen machen. Der Blick auf den Alltag– halb Thomas Bernhards Stimmenimitator, halb Belangloses aus dem Chronikteil einer kleinformatigen Tageszeitung– zeigt ihre faszinierende Trivialität mit gelungenem Humor und Feingefühl.

FN1: Gemeint sind, zum Beispiel, Künstler wie William Turner oder Caspar David Friedrich, die sich, wiederum, auf Aristoteles, Edmund Burke oder Emmanuel Kant stützen. Umberto Eco hat die westliche Ästhetik anschaulich in 2 Bänden besprochen: Umberto Eco, Die Geschichte der Schönheit / Die Geschichte der Häßlichkeit, dtv 2006 / 2007.
FN2:
Thomas Schramme, Natürlichkeit als Wert, in: Analyse & Kritik 24/2002 (© Lucius & Lucius, Stuttgart) S. 249-271.

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STOP_NON_STOP
Rethinking nature

Rethinking Nature © Foto Wien 2021/22 calls on the exhibiting artists to literally re-think their environment, but most likely also to rethink the human relationship with nature as well as its views, illusions and disillusions of nature.

 

Nothing seems more pertinent in times of the ongoing paradigm shift. Climate change generates collective fears of our future being. The COVID-19 pandemic has created a vast amount of lonely and isolated people. Fake news lead to a general loss of trust. BitCoiners and the Instagram generation succumb to a distorted image of themselves and the world. These multiple challenges burden our psychosocial system, as well as change our views and values of nature, the environment, the self and of communities.

Fundamentally, man’s relationship to nature is ambivalent, since the contradictory nature of „food or flight “ has always accompanied mankind. Nature supplies food and shelter for all forms of life, and thus survival and potential for evolutionary progress. Wild and untamed, nature is the Sublime – awe-inspiring, dominant and prevailing in every form and always triumphant against the individual. This beautiful but terrifying magnificence has been well known to the romantics and existed long before the 18th century. Needless to say, the established opponents of nature-technology, nature-culture, natural-artificial added to the aforementioned ambivalence of man towards nature. The notions of Nature and natural have always been considered the good and the beautiful, and are, thus, ethically positively connotated.

The concept of nature is considered widely here. Bianca Pedrina, Mafalda Rakoš, Rudi Rapf and Nikolaus Ruchnewitz address nature, landscape, environment, (urban) contexts, milieus and how human beings fare in these settings.

Mafalda Rakoš‚ hitchhiking serves to establish a connection with strangers. During her  journeys, she interviews the drivers and provides plenty of time to listen.
Today’s upper middle class drives comfortable SUVs that are sterile and distant. Rakoš devotes her time to truck drivers whose voices are mostly ignored. Whilst in their cars and lorries, the artist is on the drivers’ terrain. Here they willingly express their opinions and voice their concerns. Film and polaroids serve as documents of these encounters on the move, resulting in beautifully sensitive portraits.

Bianca Pedrina uses photography specifically as a means of alienation. Her chosen objects are taken from their place of origin, the materials are changed and installed in a new and different location. This displacement is accompanied by a change in proportions, which is intended to further sharpen the view and question the original meaning and function of materials.
Alienation as an anti-Aristotelian facility is the opposite of empathy: it destroys the familiar. Everything you thought you knew has to be worked out anew. Pedrina follows in the footsteps of Berthold Brecht, whose works explored the motivation of his characters and their actions within their social environment. [Fn V Effect]In his works „Mondo Concreto“ (Concrete World or World of Concrete), Nikolaus Ruchnewitz addresses the necessity of architecture. No matter if well or poorly designed the function to protect is inherent to all architectural constructions, and is, therefore, the unifying element throughout its history. Consequently, architecture can be viewed as a language, and in the best case an attractive design becomes a norm to follow.

Traveling with a medium-format camera, Ruchnewitz‘ views are deliberately deserted to underscore this universality.
In Men of Good Will, Rudi Rapf focuses on human nature. Observing everyday scenes over an extended period of time, he creates collages in blown up formats. The narrative resulting from his time-lapse collages contains voyeuristic traits that make us accomplices to the situations narrated. The view of everyday life – half Thomas Bernhard’s Stimmenimitator, half tabloid stories from daily newspapers – shows a fascination with the trivial, successfully and sensitively turned into a tongue-in-cheek moment.